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Führung auf Distanz – Was gute Führungskräfte im Homeoffice wirklich auszeichnet

Mit der Corona-Pandemie erlebte das Arbeiten von Zuhause einen erzwungenen Boom. Nach auslaufen der pandemischen Notlage, gingen viele Unternehmen in feste Regelungen für Homeoffice-Arbeit über. Doch die Freude über die neugewonnene Flexibilität erlebt immer wieder einen Rückschlag. Jüngst kürzte Deutschlands größter Automobilhersteller rund 24.000 Beschäftigten ihre kulante Homeoffice-Regel. Von vormals 4 Tagen pro Woche Homeoffice, reduzierte der Konzern diese Regelung auf maximal 2 Tage. VW handelt dabei in guter Gesellschaft. SAP, die Deutsche Bank oder der Axel Springer-Verlag gehen einen ähnlichen Weg und setzen auf mehr Präsenz. Dabei halten es nicht wenige Unternehmen weiter für wichtig, Remote-Arbeit anzubieten. Das zeigt die Bertelsmann-Stiftung z. B. daran, dass 2023 ca. 17,6% der Stellenanzeigen eine Homeoffice-Möglichkeit beinhalteten.

Welche Probleme und Herausforderungen sollte man ernst nehmen?

Eine Zielgruppe, die in dieser Diskussion stets im Sandwich feststeckt, sind die Führungskräfte. Sie müssen im Homeoffice-Kontext die Chancen erkennen und nutzen und gleichzeitig die Risiken klein halten. Blicken wir zunächst auf die Herausforderungen, die unweigerlich auftreten, sobald Distanz zwischen Führungskraft und MitarbeiterInnen – aber auch zwischen den KollegInnen – auftritt.

Beginnen möchte ich mit dem Klassiker: Spontane Fragen im „Nebenbei“ und Flurfunk fallen weg, was leicht zu Missverständnissen führen kann​. Viele Informationen, die sonst an der Kaffeemaschine weitergegeben würden, müssen nun aktiv und strukturiert geteilt werden​. Die Abstimmung „on the fly“ wird schwieriger, weshalb Unklarheiten über Aufgaben und Verantwortlichkeiten häufiger zu Konflikten führen können​. Führungskräfte müssen daher viel bewusster für einen reibungslosen Informationsfluss und transparente Kommunikation sorgen.

Wenig physischer Kontakt erschwert den Teamzusammenhalt. Der informelle zwischenmenschliche Austausch – eine wesentliche Ressource für Zufriedenheit und Motivation – fehlt oft​. Ohne gezielte Maßnahmen kann schnell das Wir-Gefühl verloren gehen. In einer Studie der Universität Konstanz gaben z. B. ein Drittel der vorwiegend im Homeoffice Arbeitenden an, dass die emotionale Bindung zu KollegInnen abgenommen hat​. In der Psychologie spricht man auch von Kohäsion (Bindung). Der US-amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger beschreibt Kohäsion als die Gesamtheit der Kräfte, die auf einzelne Mitglieder einer Gruppe einwirken. Im Wesentlichen wird die Bindung durch die drei Faktoren Attraktivität der Gruppe für ihre Mitglieder (z.B. Stolz auf die Gruppe), der Attraktivität zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern (z.B. Sympathiebeziehungen) und der Attraktivität der Gruppenaufgabe (z.B. Aufgabenmotivation) gespeist.

Vertrauen ist gut – Kontrolle nicht besser

Führen auf Distanz erfordert eine Vertrauenskultur – was für manche Führungskräfte ungewohnt ist. Ohne die physische Präsenz neigen einige dazu, die Leistung der Mitarbeitenden schwerer einschätzen zu können. Die Verlockung und der Glaube nach durchgängiger Kontrolle im Büro ist zu groß, was zu übermäßigem Kontrollverhalten führt (z. B. Micromanagement oder digitale Überwachung) und die Beziehung belastet. Gleichzeitig fühlen sich Mitarbeitende teils weniger gesehen oder wertgeschätzt. Etwa 14 % der hybrid Arbeitenden spürten einen Vertrauensverlust ihrer Führungskraft während der Pandemie, so die eben bereits zitierte Studie der Uni-Konstanz.

Vertrauen ist eine komplexe Sache. Rousseau, Mayer, Davis und Schoorman (1995) definieren es als Bereitschaft einer Person sich in einer verletzlichen Position zu befinden, in der Erwartung, die andere Partei wird meine Absichten positiv berücksichtigen. Einfach gesprochen: Ich delegiere Aufgaben an Dich und du erfüllst sie. Vertrauen ist dabei eine Art Muskel, der stärker wird, je mehr Bindung wir zu einer Person aufbauen. Findet das nicht statt, dann verlieren wir auch das Vertrauen. Das Credo ist simpel: Use it or lose it. Dabei wird in der Definition bereits auf die andere Partei verwiesen, die entscheidend zum Vertrauen beitragen muss.

Homeoffice macht nicht alles besser

Eine dritte Herausforderung ist der Aspekt der Überlastung und Entgrenzung. Die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben ist im Homeoffice ein zweischneidiges Schwert. Zwar sparen Beschäftigte Zeit durch den Wegfall des Arbeitswegs, doch gleichzeitig verschwimmt die Grenze zwischen Job und Freizeit. Viele erleben eine Doppelbelastung, etwa wenn Kinderbetreuung oder Pflege parallel zur Arbeit erfolgen. Ohne klare Regeln kommt es schnell zu längeren Arbeitszeiten​ und dem Gefühl, „nie wirklich frei“ zu haben. Führungskräfte müssen hier gegensteuern, z. B. auf die Einhaltung von Pausenzeiten achten und Überlastungsanzeichen frühzeitig erkennen. Hier greift mit dem Job-Demand-Ressource Modell eine weitere Theorie, die bereits weit vor Corona erklären konnte, warum Arbeit Menschen stresst und beansprucht. Diese Theorie stellt fest, dass Motivation entsteht, wenn Menschen die Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz mit ihren Ressourcen bewältigen können. Fehlen Ressourcen und die Anforderungen bleiben gleich, belastet das uns Menschen, was gesundheitliche Folgen nach sich zieht.

Und natürlich bringt Homeoffice oder das Mehr an Flexibilität viele Vorteile. Doch eine Studie der Universität Salzburg während der Corona-Pandemie zeigt auf, dass oftmals nur ein Tausch der Ressourcen stattfand, während die Anforderungen gleichblieben oder sogar wuchsen. Während man zu Beginn noch die Selbstbestimmung und Autonomie im Homeoffice genoss, sanken die Ressourcen durch eine fehlende soziale Unterstützung durch die KollegInnen. Homeoffice ist somit nicht per se gut für die Motivation. Es kommt – wie so oft – darauf an.

Arbeit von Zuhause bietet Chancen für alle Seiten

Und deshalb werfe ich auch einen Blick auf die Chancen rund um das Thema Umstellung auf Homeoffice und hybride Arbeitsmodelle in der DACH-Region. Sie hat in den letzten Jahren deutliche Vorteile gezeigt. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass Beschäftigte im Homeoffice im Durchschnitt produktiver und zufriedener sind. Insbesondere die gewonnene Flexibilität trägt zur Arbeitszufriedenheit bei – Mitarbeiter schätzen den Wegfall des Pendelns (87 % in einer Befragung) und die freie Zeiteinteilung (72 %) als größte Vorteile des mobilen Arbeitens (Uni Konstanz). Dadurch verbessert sich oft die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, was ebenfalls positiv zur Motivation beiträgt. Unternehmen erkennen zudem einen strategischen Vorteil: Hybride Modelle helfen, Top-Talente zu gewinnen und zu binden – 87 % der befragten Unternehmen sind überzeugt, dass flexible Arbeitsarrangements hierfür entscheidend sind​. Insgesamt wird Homeoffice heute grundsätzlich positiv bewertet, da es für viele Beschäftigte mit höherer Arbeits-, Lebens- und sogar Einkommenszufriedenheit einhergeht.

Wie führt man ein Team auf Distanz besser?

Wie bereits erwähnt, ist die Bindung zum Team und im Team entscheidend. Damit die Teamkohäsion nicht leidet, sind bewusste Führungsimpulse nötig. Führungskräfte müssen verstärkt als Brückenbauer agieren – also Gelegenheiten für gemeinsamen Austausch schaffen, virtuelle „Kaffeepausen“ initiieren und ab und zu physische Treffen ermöglichen, soweit machbar. Initieren Sie bei den regelmäßigen Treffen Feedbackschleifen über die wahrgenommene Zufriedenheit in der Zusammenarbeit. Fragen Sie aktiv danach was gut läuft und was verbesserungswürdig ist. Wichtig ist auch eine inklusive Meetingkultur: Forschungsergebnisse zeigen, dass das Verhalten von Führungskräften in hybriden Meetings großen Einfluss darauf hat, wie eingebunden und zufrieden Mitarbeitende im Büro und im Homeoffice sind​. Praktisch bedeutet das, Remote-Teilnehmende aktiv ins Gespräch einzubeziehen und darauf zu achten, dass Informationen transparent mit allen geteilt werden. Das heißt auch, dass man als Führungskraft verstärkt auf asynchrone Kommunikationswege, wie z. B. ein Protokoll in Betracht ziehen muss. Ziel sollte es sein, ein gewisses Maß an Gleichberechtigung zwischen Büro- und Homeoffice-MitarbeiterInnen herzustellen. Das vermeidet eine Grüppchenbildung. Auch eine positive Teamdynamik lässt sich fördern – etwa durch gemeinsame Teamziele, Teamevents oder kollaborative Workshops.

In verteilten Teams ist Eindeutigkeit besonders wichtig. Da die informelle Abstimmung schwieriger ist, sollten Führungskräfte Aufgaben, Zuständigkeiten und Zielvorgaben klar kommunizieren. Unklare Erwartungen führen sonst schnell zu Reibungen im Remote-Kontext​. Es hilft, zu Beginn der Woche oder eines Projekts gemeinsam festzulegen, wer was bis wann erledigt. Kurze Check-in-Meetings (z. B. Daily Stand-ups) können genutzt werden, um den Stand der Dinge zu klären und Missverständnisse früh auszuräumen​. Insgesamt gilt: Kohäsion entsteht nicht mehr „von allein“ durch räumliche Nähe, sondern muss im hybriden Setting gezielt gestaltet werden.

Für ein größeres Vertrauen sollten Sie weiter auf 1:1 Gespräche setzen. Regelmäßige MitarbeiterInnengespräch bieten eine gute Grundlage, um die Herausforderungen im hybriden Alltag zu besprechen und eben eine engere Bindung aufzubauen. Sie sollten Kontrollimpulse zügeln und ihren Teams Eigenverantwortung zugestehen. Wichtig: Das Vertrauen auch ausdrücklich kommunizieren. In diesen Formaten kann und sollte natürlich auch über die aktuelle Leistung gesprochen werden. Beispielsweise kann man betonen, dass nicht die Online-Zeiten, sondern die Ergebnisse zählen. Diese Outcome-Orientierung fördert Eigeninitiative und Motivation. Gleichzeitig sollte man für Fragen erreichbar sein – also Vertrauen schenken, ohne die Mitarbeitenden alleine zu lassen.

In Präsenz bekommt man viel implizites Feedback (Lächeln, Nicken, kurzes Lob im Vorbeigehen). Im Remote-Modus fällt das weg​. Daher muss Feedback bewusster stattfinden. Sie sollten häufiger kurze Rückmeldungen geben – sei es ein „Danke für die gute Arbeit“ per Chat oder ein ausführlicheres Feedback im Wochencall. Insbesondere positive Rückmeldung und Anerkennung sind wichtig, um die Motivation hochzuhalten​. Bei kritischem Feedback empfiehlt es sich, das persönliche Gespräch via Video oder Telefon zu suchen, da schriftliche Kritik leicht missverstanden wird​. Neben Leistungsfeedback gehört auch der zwischenmenschliche Draht dazu: Ein kurzer Anruf, um nach dem Befinden zu fragen, kann viel bewirken.

Wichtig für das Gelingen eines MitarbeiterInnengespräch ist die Fähigkeit des Zuhörens. Zeigen Sie ehrliches Interesse an den Themen Ihrer MitarbeiterInnen und sprechen sie nicht nur miteinander, um ihre Punkte möglichst schnell loszuwerden. In diesem Setting bietet es sich auch immer wieder an, über die Ausgestaltung des Jobs zu sprechen. Mit Hilfe des Job Crafting Ansatzes können MitarbeiterInnen ihren Job an ihren Stärken ausrichten und verändern. Eine spannende Aufgabe für das gesamte Team.

Hybrides Arbeiten und Führen auf Distanz beeinflussen Arbeitszufriedenheit und Motivation in erheblichem Maße – positiv wie negativ. Insgesamt überwiegen laut aktueller deutschsprachiger Studien die positiven Effekte, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind: Freiwilligkeit/Flexibilität, vertrauensbasierte Führung, strukturierte Kommunikation und soziale Einbindung. Dann werden die Chancen – höhere Zufriedenheit, bessere Vereinbarkeit, mehr Motivation – Realität. Bleiben diese Faktoren jedoch unberücksichtigt, drohen die genannten Risiken die Zufriedenheit zu schmälern. Sie als Führungskraft spielen hier eine entscheidende Rolle. Ihre aktive Gestaltung der neuen Arbeitswelt ist mitentscheidend dafür, dass die hybride Arbeit zu einer positiven Arbeitskultur mit motivierten, engagierten Mitarbeitenden führt.

Quellen

Quellen:

Möhring et al. (2022): Ergebnisbericht Konstanzer Homeoffice-Studie 2020–2022, Universität Konstanz.​

Bauer et al. (2024): Hybrides, ortsflexibles, multilokales Arbeiten? BAuA Fokus, Dortmund.​

Hans-Böckler-Stiftung (2023): Homeoffice-Studienüberblick, Düsseldorf.​

DIW Berlin Wochenbericht 43/2024: Homeoffice nach Ende der Pandemiemaßnahmen, Berlin

Uni Graz / Initiative „Gesunde Arbeit“ (2023): Praxisleitfaden Gesundes Führen auf Distanz, Graz

Websiten:

https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kohaesion

https://www.wiwo.de/erfolg/trends/remote-arbeit-von-wegen-rueckkehr-ins-buero-so-stark-hat-sich-das-homeoffice-etabliert/29856602.html

https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsleben/trend-zum-zurueck-ins-buero-zwischen-vorteilen-der-praesenzpflicht-und-jobwechselgefahr

https://www.casabuitoni.de/posts/postDetail/was-ist-eigentlich-vertrauen/1118#:~:text=Zusammenfassend%20betrachtet%20die%20Vertrauensbildungstheorie%20von,den%20situativen%20Bedingungen%20beeinflusst%20wird.

Vita des Gastautors

Michael Zocholl (37) – Essen

Als beratender Wirtschaftspsychologe biete ich maßgeschneiderte Trainings und Workshops für Führungskräfte und Teams an.

Web: https://www.michaelzocholl.de/

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